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Das Thema „Afghanistan“ lässt fast niemanden in der deutschen Bevölkerung unberührt.

Militärpfarrer Gerhard Kern war vier Monate dort. Er war selbst sehr gespannt, welches Bild er vom dortigen Einsatz bekommen würde. Als evangelischer Seelsorger begleitete er von November 2011 bis März 2012 ca. 400 Soldaten, Polizisten und Zivilisten im Bundeswehrlager Feyzabad in der Provinz Badakhshan. Zurückgekehrt ist er mit einer veränderten Haltung. Anhand von Bildern berichtet er von seinen Eindrücken.
Bereits 2009 war er vier Monate im Auslandseinsatz im Kosovo. Zur Bundeswehr kam er aufgrund seiner Tätigkeit als leitender Notfallseelsorger im Hohenlohekreis von 1998 bis 2006.
Gerhard Kern wohnt in Kupferzell, war sechs Jahren Militärpfarrer in Ellwangen, Dillingen und Donauwörth. Seit Dezember 2012 ist er Stellvertretender Leitender Dekan der Militärseelsorge in Ulm.

Bericht aus der Gemeindezeitung "Turmuhr"

Den Frieden gewinnen am Hindukusch?!
Vom Ringen um diese Frage berichtete am 27. Februar der evangelische Militärpfarrer Gerhard Kern aus Ulm beim Männervesper der Evang. Kirchengemeinde im vollbesetzten Trol-lingersaal der Remstalkellerei. Sein Dienstauftrag als Militärseelsorger verpflichtete ihn über Weihnachten zu einem viermonatigen Auslandseinsatz im Bundeswehrstandort in Feyzabad in der nordöstlichsten Provinz Afghanistans. Was die Einsatzkräfte im Blick auf Land und Leute erwartet, wenn sie auf dem Luftweg zu ihrem Einsatzort gebracht werden, schilderte Pfr. Kern anschaulich in Bild und Wort. Eine so faszinierende wie karge Landschaft lässt fragen, wovon dort Menschen leben. Oasenartige Besiedlung mit spärlicher Vegetation, die Häuser gleichen einfachsten Steinschutzhütten, vielfach ohne Heizungen. Wichtige Verbindungsstraßen in einem Zustand, dass Esel noch als gängigste Verkehrs- und Transportmittel erscheinen. Die Menschen leben in unvorstellbarer Armut, ihre Provinz gehört zu den 10 ärmsten Ländern der Erde. Für das Winterklima sind sie und besonders Kinder oft unzureichend mit Winterkleidung versorgt. Zum Heizen muss Holz aus Nachbarländern eingeführt werden. Selbst mit getrockneten Fäkalien wird geheizt. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt nur 47 Jahre. Jede 7. Frau stirbt bei der Geburt eines Kindes und eines von 5 Kindern überlebt das Säuglingsalter nicht. Nur 13 % der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Wasser. Der Rest muss sich aus Flüssen versorgen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Leben ein beständiger Überlebenskampf, in der ganzen Region gibt es nur ein Krankenhaus. Drei Jahrzehnte Kriegswirren mit wechselnden Kriegsparteien haben über 40% der Menschen Verlust der Heimat und ein Flüchtlingsschicksal bereitet. Solche Armutsverhältnisse sind ein idealer Nährboden für das Entstehen radikaler Bewegungen mit terroristischen Aktivitäten. Aus den Hinterlassenschaften des russischen Militärs ist die Versorgung mit Waffen und Munition verhältnismäßig einfach. Die Sicherheit der Bevölkerung konnte staatlicherseits nicht gewährleistet werden.

Dies führte zu der Entsendung der internationalen ISAF-Truppen, an der in ganz Afghanistan 50 Nationen mit 140 000 Soldaten beteiligt sind, die in Abstimmung mit der afghanischen Regierung Sicherheit für die Zivilbevölkerung durch Bekämpfung des Terrorismus herstellen sollen. Während die Medien seit geraumer Zeit unter der Überschrift Krieg am Hindukusch berichten, war erstaunlich erfreulich, was Pfr. Kern aus der Region um Feyzabad, einem der Bundeswehreinsatzgebiete, berichten konnte. Etwa wie die militärtechnischen Möglichkeiten der Sicherheitsüberwachung so eingesetzt werden, dass das Leben aufständischer Kämpfer möglichst geschont wird und stattdessen nur deren Waffendepots zerstört werden. Beeindruckend war, was technische Verbände des Militärs, besonders auch der Amerikaner, durch große Straßen- und Brückenbauprojekte für den Aufbau einer Infrastruktur des Landes leisten, die der Versorgung der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes dienen. Beeindruckend auch, wie bei Notständen Nahrungsmittellieferungen organisiert und mit Hubschraubern transportiert werden, wobei dann Einheimische als Tagelöhner beim Entladen etwas verdienen können. Beeindruckend, wie – an Einzelschicksalen geschildert – die Sanitätseinheit mit den Bundeswehrärzten sich aufopfernd für die medizinische Versorgung der Bevölkerung einsetzt und wie oft auf unkonventionellen Wegen um Rettung von Menschenleben gekämpft wird. Beeindruckend, wie Soldaten durch freiwilliges Engagement den Aufbau des Bildungswesens unterstützen und wie viel Kreativität und Phantasie in die Ausbildung der Sicherheits- und Polizeikräfte eingebracht wird, wo unter den Auszubildenden viele Analphabeten sind. Beeindruckend, wie viel Energie in die Kontaktgespräche mit allen Bevölkerungsgruppen investiert und dabei direkte Friedensarbeit geleistet wird.

In dem allem mitten drin der Militärseelsorger, der sich als Ratgeber, Unterstützer und Begleiter für alle Beteiligten einbringt und dabei seine Unabhängigkeit von den militärischen Strukturen ausnützt. Unverzichtbar dabei das gottesdienstliche Angebot und seelsorgerliche Gespräche, so dass es gar nicht so selten vorkommt, dass Soldaten sich taufen lassen oder wieder in die Kirche eintreten. Pfr. Kern hat diesen Auslandseinsatz nicht als Mitwirkung in einem militärischen Apparat begriffen, sondern als Entwicklungshilfe, die in schwierigsten Verhältnissen lebenden Menschen Zukunftsperspektiven in Freiheit und Frieden eröffnen. Er würde sich wieder dafür engagieren. Dass die Bevölkerung deutlich ihre Sorgen darüber äußert, was nach einem Abzug der ISAF-Truppen folgt, zeigt deren Wertschätzung dieses Einsatzes.

Der lebendige, persönliche und von üblicher Medienberichterstattung abweichende Erfahrungsbericht von Pfr. Kern zeigte eindrücklich und überraschend auf, von wie viel Humanität und Mitmenschlichkeit dieser Militäreinsatz begleitet ist. Dieses Männervesper brachte viele bedenkenswerte Aspekte gegen einseitige Diskussionen und machte Hoffnung, dass der große militärische Aufwand Frieden und Freiheit fördern kann, wenn dabei die Menschenwürde einen so hohen Stellenwert bekommt.

Anerkennung verdient auch das Männervesperteam für die Durchführung des Abends und wie für das leibliche Wohl gesorgt wurde. Rundum: Weiter so bei Themen und Gestaltung!

Wilhelm Birkenmaier

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